Kaum gab es erneut Bomben auf unserem Kontinent, werden die Rufe nach pauschaler Überwachung wieder lauter, obwohl eben erst der Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt wurde. "quite possible" soll es mit der Vorratsdatenspeicherung von Handy- und Internetverbindungsdaten sowie E-Mails gelingen können, "verdächtige Muster" zu finden, die Terroranschläge wie in London (oder vorher in Madrid) zu verhindern. Soll. Können. Das ist der Konjunktiv. Im gleichen Atemzug sollen Geheimdienste und Polizei - am besten auch noch grenzübergreifend - befugt werden, diese Daten auszuwerten und zu tauschen. Wildwuchs in Sachen Speicherung und Austausch von Daten im inkonsequenten und undurchdchaten Aktionismus wider "dem Terror" sind nicht nur zu befürchten sondern werden mittlerweile von Offiziellen gefordert: Ohne Gesetzesgrundlagen sollen Provider in GB E-Mails speichern, da sich diese "für die Jagd nach den Tätern als nützlich erweisen könnten". Begründet werden derlei Aktionen mit kaum von der Hand zu weisenden Binsenweisheiten: "Es ist wahrscheinlich, dass moderne Telekommunikationssysteme für die Planung und Ausführung benutzt wurden". Das ist eine brilliante Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass Menschen für gewöhnlich über irgendeinen Weg miteinander sprechen oder sich E-Mails schreiben.
(vgl.: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20486/1.html)
Im Trüben fischen
Der Konjunktiv ist immer wieder eine beliebte Form der Verschleierung von Tatsachen gewesen. Gleichzeitig kann dem Leser z.B. eines Zeitungsberichts das Gefühl suggeriert werden, eine nachvollziehbar schlüssige Argumentation gelesen zu haben. Die Verwendung von allgemeinen und für den Leser nachvollziehbaren Aussagen des täglichen Lebens erleichtert die Manipulation dabei erheblich.
Kurz gefasst ergibt sich:
- Voraussetzung 1: Terroristen sind böse Menschen und legen Bomben, die Menschen töten.
- Voraussetzung 2: Moderne Kommunikationswege werden von sehr vielen Menschen benutzt.
- Schluss 1: Terroristen benutzen moderne Kommunikationswege um sich zu koordinieren.
- Schluss 2: Unter anderem das Internet als ein Kommunikationsmittel der Terroristen muss vollständig überwacht werden.
Empfinden Sie die genannten Punkte als schlüssige Argumentation?
In die Falle gegangen
Wenn sie die Punkte als schlüssige Argumentation empfinden, sind Sie soeben in die Falle gegangen: Die Argumentation ist hinsichtlich ihrer logischen Schlussfolgerung nachvollziehbar. Aber sie ist nicht vollständig und geht von nur bedingt richtigen Voraussetzungen aus, die ebenso bedingt richtig kombiniert werden:
- Die erste Voraussetzung ist wohl unwidersprochen: Terroristen werden im Allgemeinen als böse Menschen gesehen.
- Die zweite Aussage ist eine ähnlich schwer wiegende Tatsache: Ein großer Teil der europäischen Bevölkerung hat ein Handy oder nutzt das Internet.
- Problematisch wird der erste Schluss: Terroristen sind zwar Menschen, aber nicht alle Menschen (sondern eben nur viele) benutzen moderne Kommunikationsmittel und -wege. Da explizit von Handy und Internet gesprochen wurde, wäre das Telefon oder die Briefpost also ein antiquiertes aber probates Mittel, mit dem sich Menschen untereinander austauschen können und dies auch tun.
- Der zweite Schluss ist ebenso wackelig: Es gab in der Vergangenheit Briefbombenanschläge (eine Tatsache). Dennoch kam niemand auf die Idee, die Post oder Kurierdienste besonders zu überwachen oder gar einzuschränken. Noch heute gelten das Fernmelde- und das Briefgeheimnis. Und von verschickten Briefen werden auch keine Logdateien angelegt oder gar ihre Inhalte in Kopie über Jahre zwischengespeichert.
Gläsern und überwacht - aber doch anonym?
Treten wir ein wenig neben den bisherigen Kontext und betrachten eine sehr ähnliche Baustelle: Menschen kommen auf komische Ideen. Einzeln und für sich betrachtet mögen diese noch einem gewissen Sinn nicht entbehren, doch zusammengenommen werfen sie ein grelles Licht auf die manchmal schon fast krankhaft anmutenden Auswüchse einiger Strafverfolger und Politiker: Auf der einen Seite wird die Vorratsdatenspeicherung mehr oder weniger abgelehnt, auf der anderen Seite massiv gefordert. Auf derselben Seite, die mit pauschaler Überwachung und der (wie auch immer gearteten) Analyse erhobener Daten (auch als "Rasterfahndung" mit üblicherweise wenig hilfreichem Ausgang bekannt) als Allheilmittel hausieren geht, wird das Ego damit aufpoliert, dass sich die Möglichkeit anonym abgebbarer Hinweise an Strafverfolger in der Vergangenheit durchaus bewährt habe.
Nun meine Frage: Wie kann man als mündiger Bürger und möglicherweise wichtiger Informant dem Strafverfolger einen anonymen Hinweis über ein total überwachtes Medium weitergeben, dessen Überwachungsdaten über Jahre aufbewahrt werden? Sollen die Zugriffe auf "Denunzianten-Webseiten" (um es einmal überspitzt polemisch zu formulieren) oder bestimmte Telefonnummern extra aus den Logfiles gestrichen werden, also quasi eine "Vorfilterung" der Daten stattfinden? Oder wird lieber automatisch die Querverbindung geknüpft: "Die Person hat eine Webseite mit illegalen Inhalten besucht... aber auch einen Hinweis an die Strafverfolger gegeben."? Und wer garantiert dafür, dass derlei Filter nicht doch wieder zum Umgehen von Kontrollmechanismen genutzt werden?
Freiheit, Wissen und Grundwerte
Nein, die Überwachung und Vorratsdatenspeicherung kann nicht der Weisheit letzter Schluss und das erklärte Ziel der Strafverfolger sein. In meinen Augen sind die momentanen Konsequenzen des Terrors sogar eher das Ziel der Terroristen, nämlich ganze Völker in den Krieg auf sich selber zu stürzen und die Überwacher mit den Überwachten Katz´ und Maus spielen zu lassen statt Probleme zu lösen.
Ich weiß nicht mehr, wer im Spiel um Bürgerrechte und Macht welche Karten in der Hand hat, doch dass die (Sicherheits-)Politik momentan mehr als seltsame und überaus gefährliche Blüten treibt, ist meiner Meinung nach offensichtlich. Es wird also Zeit, dass man Menschen wieder Gutes unterstellt, sie frei leben lässt und über Grundwerte aufklärt. Grundwerte, die einstmals das (mittlerweile ausgehöhlte) Grundgesetz der BRD zu verkörpern und zu schützen gedachte und die Menschen noch gemeinsam an die freiheitlich-demokratische Grundordnung statt an die allumfassende und für jeden gefährliche Pauschal-Überwachung rund um die Uhr glauben ließen.